Was mich am Leben erhält

ffl14_56Also jetzt HiFi-mäßig betrachtet, nicht absolut…
Wenn man einen so großen Teil seiner Zeit wie ich damit verbringt, sich mit Musikreproduktion und den dafür erforderlichen Gerätschaften zu beschäftigen, dann wird’s irgendwann schwierig. Wie alles, was man exzessiv betreibt, hängt einem der Scheiß irgendwann zum Halse raus. Zu behaupten, das würde mir nie passieren wäre ziemlich übertrieben. Allerdings habe ich ein paar Dinge, die mich immer wieder retten. Gelegenheiten, die mich erden, die neue Perspektiven eröffnen und die mitunter so unverschämt viel Spaß machen, dass „es“ danach wieder „geht“.
Am vergangenen Wochenende hatte ich wieder sowas. Es stand nämlich die 2014er Ausgabe des „Frickelfest light“ an. Der Eine oder andere wird’s mitbekommen haben: Seit 2008 gibt’s jeden Sommer diese wunderbare Veranstaltung namens „Frickelfest“, einer viertägigen Klausur für knapp 80 Vertreter der härteren Selbstbauszene. Seit meinem ersten Aufruf dazu, die Lötergemeinde unter einen Hut zu bekommen ist viel passiert, und von Anfang an gab’s nach dem „großen“ Frickelfest im Sommer ein eintägige Variante im Winter, abgehalten in den Räumlichkeiten meines Arbeitgebers in Duisburg. Dabei gibt’s immer ein Motto, an dem sich die mitgebrachten Selbstbauten orientieren sollen.
f3_800Dieses Jahr hieß es „Furutorp“, was ein CD/DVD-Sortiermöbel von Ikea ist – oder besser war, denn das gibt’s nicht mehr. Dank der Sammelleidenschaft eines Fricklers allerdings waren reichlich dieser Dinger vorhanden. Die sind seinerzeit an die Teilnehmer verteilt worden unter der Auflage, irgendwas HiFi-mäßiges da einzubauen.
Was im Laufe des vergangenen Samstags in Duisburg auftauchte, war absolut großartig. Von der ausgewachsenen Röhrenvorstufe mit LCR-Phonoentzerrer über diverse mehr oder weniger offene Lautsprecherkonzepte, einer Endstufe mit Wehrmachtsröhren und überhaupt Verstärkern in jeder Form und Farbe haben wohl am meisten die beiden Quellengeräte beeindruckt. Streaming-Clients, CD-Player? Aber nicht doch. Der echte Frickler stellt sich härteren Herausforderungen als sowas. Selbstverständlich gab’s Plattenspieler. Einen niedlichen „Ein-Furutorp-Dreher“ von Felix aus Berlin, realisiert im besten Charles Altmann-Style. Und natürlich nur für Singles gedacht – was Simon Yorke kann, geht bei uns schon lange.
ffl14_54Und was Frank Schröder dann aus seinem Reisekoffer befreite, schlug dem Fass mal wieder den Boden ins Gesicht: einen Kombinationstriebler auf Basis einer (Frank, korrigiere mich wenn ich Unsinn erzähle) uralten Tonbandmaschine aus Berliner Fertigung: Capstanmotor treibt Schwungmasse per Riemen an, das Reibrad auf gleicher Achse versetzt dann den Sandwich-Teller in Rotation. Und Frank wäre nicht Frank, wenn er sich nicht mal wieder einen Arm mit cleveren Detaillösungen hätte einfallen lassen: Es gab einen waschechten passiven Tangentialarm, dessen zwei Kugellager auf der Kante eines russischen Haarlineals zur Führung liefen. Der Arm war auch in der Horizontalen Achse drehbar, wurde daran aber von einem Gummiband (!) gezielt gehindert. Große Klasse das, und es kam den ganzen Abend (und in der Nacht und am frühen Morgen) keinerlei Wunsch auf, die Quelle zu wechseln – das Ding spielte großartig.

Im Laufe des Abends sind in Obermeiderich wirklich denkwürdige Dinge geschehen und ich bin mir sicher, dass in dieser Nacht an keinem Ort der Welt eine noch schrägere HiFi-Anlage gespielt hat. Das liegt nicht nur an dem sehr speziellen Plattenspieler samt in einem Gehäuse aus fossilem Dinosaurierknochen eingebauten DL-103, sondern vor allem an dem Lautsprecher, der live vor Ort entstanden ist: Peter brachte ein Paar unlängst von einem Karnevalsumzugsfahrzeug abgeschraubte Durchsagedruckkammerlautsprecher von Telefunken, Baujahr vermutlich irgendwann in den Vierzigern, mit. Solo betrieben waren wir mit der Wiedergabe im Bass und den Höhen, sagen wir mal, nicht ganz glücklich. Oder besser gesagt: Keines von beiden war vorhanden. Also haben wir mal kurz einen kompletten Lautsprecher um die Durchsagetröten drumrum „entwickelt“: Als Bass fungierten unsere sorgsam gehüteten Onken-Bassgehäuse mit 15″-JBL-Klonen von P-Audio. Als Hochtöner kamen Rogers mitgebrachten Selbstbau-Bändchenhochtöner mit Membranen aus Haushalts-Alufolie, gefaltet mit einer Tubenpresse von Ebay zum Zuge. Drei Wege, fünf Bauteile mit geschätzten Werten und wir hatten einen richtigen Lautsprecher. Keinen perfekten, aber einen, der unten nach großer PA-Pappe klang, der Energie in den Mitten hatte und richtig Saft im Hochton. An Verstärkern lief alles, was so mitgebracht wurde.

Und ganz ehrlich – ich hab selten soviel Spaß beim Musikhören gehabt. Ich liebe es, wenn solche Veranstaltungen völlig unerwartete und unkalkulierbare Wendungen nehmen und dabei etwas entsteht, das größer ist als die Summe seiner Teile. Scheiß auf HiFi, scheiß aufs Messmikrofon – das Zeug hat gerockt und allen Leuten, die irgendwann vor dem Ende des Ganzen (was gegen morgens um sechs der Fall war) abreisen mussten, war ihr Unmut darüber deutlich anzumerken.
Sowas ist es, das mich jeden Tag wieder ins Büro treibt. Die Aussicht darauf, ab und zu einfach unschuldigen Spaß mit dem Thema HiFi haben zu können. Völlig ohne Rücksicht auf Auflagenzahlen, Anzeigenumsätze, political correctness und solchen Quatsch.

Und ich kann euch da draußen nur ganz dringend raten: Macht mal sowas. Gleichgesinnte gibt’s überall. Mietet euch beim Bauern um die Ecke fürs Wochenende in der Scheune ein und probiert bescheuertes Zeug aus. Leute zu dafür zu finden ist im Internet-Zeitalter kein Problem mehr. Es lohnt sich – versprochen.

Ach ja – die Bildergalerie, natürlich.

13 Gedanken zu „Was mich am Leben erhält

  1. Joachim Gerhard

    So einem Ereignis, wie die Horn Box mit Onken und Bändchen zustande kam, habe ich noch nie beigewohnt. Da kam Kreativität, Spontanität und Freude auf. Es klang gar nicht mal SOO schlecht am Ende, oder hatte ich schon zu viel billigen Rotwein intus ?
    Klar, Roger´s Kombination tönte später High Endiger. Sogar mit richtig Galle.
    Ich fand sogar das Megaphon alleine mit urigem Blues bewegend. Das röhrte und trötete
    mächtig. So muss das wohl in den 40ern auf öffentlichen Plätzen getönt haben. Es war jedenfalls nicht zu ignorieren. Die traurige Botschaft kam rüber.

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  2. Matthias+

    Abgefahrener Kram – Super Sache!

    Frage: gibt es noch ein besseres Foto des Tangential- Tonarm?
    Ich suche da noch Anregungen…

    VG,
    Matthias

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  3. Frank Schröder

    P.S.: Bitte nur völlig abgerockte Exemplare „schlachten“… sonst bekomme ich noch Ärger mir der Tonbandfraktion 🙂

    Grüße,
    Frank

    Antworten
  4. Frank Schröder

    Hi,
    Für Nachbauer 🙂 :

    http://www.kofferradios.de/tb/sj/sj001.html

    oder:

    http://bandmaschinen.jimdo.com/tonbandger%C3%A4te/saja-mk4/

    Sander und Janzen Mk4, Capstan = oberes Ende der Schwungradwelle. Reibrad mittels O-Ring rutschgekuppelt auf selbiger Capstanwelle. Ist recht universal, das Schwungrad kann einen Teller auch unmittelbar durch den Antriebsriemen, welcher über den Aussenrand hinausragt, antreiben. Ist ’ne Frage der Dimensionierung.
    Unmittelbar per Riemen lässt sich der Teller nicht antreiben: Spaltpolmotor mit fixer Drehrichtung….

    Cheers,

    Frank

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    1. Mathias

      Hi Frank,

      auf alle Fälle wieder mal ein total abgefahrenes Ding das Du da am Start hattest! Bringst Du den Dreher auch mit ins Kloster oder wird das am Ende zu viel Stress?

      Liebe Grüße,
      Mathias

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  5. Mathias

    Sehr geil was Ihr da wieder auf die Beine bzw. Furutorps gestellt habt und ich habe endlich eine Vision wie ich den ollen TD146 mit ohne Tonarm evtl. wieder zum Leben erwecken kann 🙂
    Ein Besuch im Baumarkt ist schon fest eingeplant und beim nächsten besuch bei meiner Mutter muss ich wohl mal in ihren Stricksachen wildern gehen.

    Und natürlich wieder tolle Bilder die es noch schmerzlicher werden lassen das ich nicht vorbeikommen konnte …

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